11.06.18 - Prof. Toni Wäfler der Fachhochschule Nordwestschweiz untersucht das Zusammenwirken von Menschen und komplexen Technologien.
Im Interview erläutert er unser «Gärtchendenken», den konstruktiven Umgang mit Veränderungen und wagte einen Blick in die Zukunft.
Wie erklären Sie sich, warum die Arbeits- und Organisationsgestaltung bei der Einführung neuer Technologien meist unsystematisch und reaktiv erfolgen, der technische Teil aber systematisch und proaktiv vorangetrieben wird?
Dafür gibt es bestimmt viele Gründe und keine einfachen Antworten. Aber ich denke schon, dass ein hauptsächlicher Grund darin liegt, dass in den entsprechenden Projekten oft sehr viel technisches Wissen und technische Erfahrung vorhanden sind, während psychologisches Fachwissen keine Berücksichtigung findet. Daher wird in allererster Linie nach technischen Lösungen für die Problemstellungen gesucht. Dies bildet sich auch in den Projektressourcen ab. Dass es in einem Projektteam Experten für Technik braucht ist immer unbestritten. Das psychologische Fachwissen meint man dann aber mit dem sogenannten «gesunden Menschenverstand» abzudecken. Dies ist eben sehr oft unzureichend. Die Folge ist, dass die Arbeits- und Organisationsgestaltung nicht ebenso professionell erfolgt wie die Erarbeitung der technischen Lösung. Wenn dann Probleme auftauchen, muss man reaktive Feuerwehrübungen machen.
Projekte werden je länger je mehr abteilungs- und betriebsübergreifender. Kommt uns hier nicht unser klassisches Gruppendenken in die Quere?
Das ist ein gutes Beispiel, um zu illustrieren, was ich oben meinte. Die entscheidende Frage ist aus arbeits- und organisationspsychologischer Sicht, woher dieses «Gärtchendenken» kommt. Der «gesunde Menschenverstand» schreibt es oft den betreffenden Personen zu, die sich angeblich nicht bewegen wollen. Diese Sicht ist nur begrenzt zutreffend und hilft vor allem nicht, dass sich etwas ändert. «Gärtchendenken» entsteht an organisatorischen Schnittstellen. Als Mitglied einer Fussballmannschaft identifiziere ich mich ja auch mit meinen Mannschaftskollegen und nicht mit den Stürmern der anderen Mannschaften, auch wenn ich selber Stürmer bin. Im Fussball wäre es fatal, die organisatorischen Schnittstellen so zu ziehen, dass es Mannschaften aus lauter Stürmern, Mannschaften aus lauter Verteidigern, Mannschaften aus lauter Goalies gibt. Genau dies findet man aber oft bei der Arbeit. Alle Verkäufer gehören einer Mannschaft an, die man dann als Abteilung, als Team oder ähnlich bezeichnet, ebenso alle Konstrukteure, alle Programmierer und so weiter. Manchmal findet man dies sogar in der Produktion: Alle Dreher ein Meisterbereich, alle Schleifer ein anderer Meisterbereich etc. Zwischen diesen Organisationseinheiten zieht man Schnittstellen und dort herrscht dann «Gärtchendenken». Die Psychologie weiss schon lange, dass man solche Grenzen nicht zwischen Goalie und Verteidiger ziehen darf, sondern die Teams ihren Aufgaben entsprechend funktional gemischtzusammensetzen muss. So entsteht die Kooperation dort, wo sie gebraucht wird, nämlich an den Aufgabenzusammenhängen. Dies ist nur ein Beispiel für psychologisches Fachwissen, das leider oft viel zu wenig Berücksichtigung findet.
Wie denken Sie, könnte eine Arbeits- und Organisationsgestaltung von morgen aussehen?
Blicke in die Zukunft sind natürlich immer schwierig. Eine Erwartung ist, dass die erfolgreiche Organisation der Zukunft kein Koloss ist, sondern aus kleinen Einheiten besteht, in denen unterschiedliche Fachleute selbstorganisiert zusammenarbeiten. Entsprechende Visionen gehen davon aus, dass es keine grossen Fabriken mit Massenproduktion mehr gibt. Es werden Netzwerke von kleinen Einheiten sein, die jeweils Produktion und Engineering vereinen und damit fähig sind, ihren Kunden spezifische Lösungen zu liefern – schnell, unkompliziert und zuverlässig. Mit unseren KMU haben wir dafür meines Erachtens gute Voraussetzungen. Sie sind agil und verfügen über viel Fachkompetenz. Das einzelne KMU ist aber zu klein, um auf dem globalen Markt konkurrenzfähig zu sein. Es müssen also Konzepte erarbeitet werden, KMU zu vernetzen und ihre Zusammenarbeit zu fördern, ohne dass sie ihre Eigenständigkeit verlieren. Gelingt dies, können sie trotz hohen Löhnen auf einem globalen Markt bestehen.
Wie beeinflusst es aus Ihrer Sicht die Menschen, dass Änderungen nicht mehr in Generationenschritten passieren?
Die Geschwindigkeit, in der Veränderungen kommen, ist meines Erachtens weniger entscheidend. Entscheidender ist, ob man sie als Bedrohung oder als nützlich erlebt. Bedrohlich sind Veränderungen zum Beispiel, wenn sie den eigenen Arbeitsplatz gefährden, oder wenn man nicht mehr mithalten kann, weil die eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen veralten. Voraussetzung für einen konstruktiven Umgang mit Veränderungen sind daher unter anderem folgende: Neue Technologien sollen nicht eingesetzt werden, um Menschen zu ersetzen oder zu kontrollieren, sondern um sie zu «empowern». Deswegen sollen entsprechende Projekte eben nicht als reine Technikprojekte verstanden werden. Und man muss ebenso viel in die kontinuierliche Weiterbildung der Mitarbeitenden investieren wie in die neuen Technologien.